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Der Pflichtteils­ergänzungs­anspruch & Auswirkung von Schenkungen auf den Pflichtteil

Pflichtteilsberechtigte Personen können im Falle einer Enterbung aus dem Nachlass einen Anspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils geltend machen. Ein Erblasser könnte aber den Pflichtteilsanspruch ganz einfach dadurch aushöhlen oder sogar ganz auf Null reduzieren, wenn er zu Lebzeiten wesentliche Teile seines Vermögens (z. B. Immobilien, Aktien oder Schmuck) anderen Personen oder Organisationen schenkt. Dies will der Gesetzgeber verhindern und hat deshalb im § 2325 BGB bestimmt, dass Schenkungen, die der Erblasser in seinen letzten 10 Lebensjahren vorgenommen hat, zu einer Ergänzung des Pflichtteilsanspruchs führen.

Bei Schenkungen an den Ehegatten gibt es sogar keine Begrenzung auf 10 Jahre: Hier werden sämtliche Schenkungen und Zuwendungen während der Ehezeit zu Gunsten des Pflichtteilsberechtigten bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt.

Das Wichtigste zum Pflichtteils­ergänzungs­anspruch

  • Der Pflichtteil­sergänzungsanspruch verhindert, dass Erblasser die Pflichtteilsansprüche von pflichtteilsberechtigten Personen durch lebzeitige Schenkungen schmälern.
  • Einen Pflichtteil­sergänzungsanspruch hat nur der enge Kreis der sogenannten Pflichtteilsberechtigten: Dies sind die eigenen Nachkommen des Erblassers, dessen Ehepartner und bei kinderlosen Erblassern die Eltern.
  • Bei der Berechnung des Pflichtteils­ergänzungsanspruchs werden alle Schenkungen berücksichtigt, die der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod vorgenommen hat. Unter Ehegatten entfällt diese Zehnjahresfrist.
  • Der zu errechnende Pflichtteil­sergänzungsanspruch kann sich unter Umständen pro Jahr von 100 Prozent auf null reduzieren (Abschmelzungs­modell); Schenkungen, die 11 Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgt sind, werden nicht mehr berücksichtigt.

1. Was ist ein Pflichtteils­ergänzungs­anspruch und welche Schenkungen erhöhen den Pflichtteil?

Der Pflichtteil sichert nahe Angehörige im Fall der Enterbung ab. Laut Gesetz dürfen Abkömmlinge, Ehepartner und die Eltern kinderloser Erblasser nicht vollständig enterbt werden. Sie können einen Geldanspruch in Höhe des halben Erbteils (Pflichtteilsquote) gegenüber dem oder den Erben aus dem Nachlassbestand geltend machen. Das ist der Pflichtteil.

Manche Erblasser wollen sich nicht an diese gesetzliche Bestimmung halten. Sie versuchen, das Gesetz auszuhebeln, und verschenken daher bereits zu Lebzeiten Vermögen, um etwa Lieblingskinder zu bevorzugen oder um einem Partner oder einer Geliebten Vermögen aus dem Nachlassbestand zukommen zu lassen. Da dies der Pflichtteilsberechtigung widerspricht, hat der Gesetzgeber den „Pflichtteilsergänzungsanspruch“ in das Bürgerliche Gesetzbuch BGB geschrieben. Pflichtteilsberechtigte Personen können daher unter bestimmten Voraussetzungen aus Schenkungen vor dem Tod des Erblassers einen Pflichtteils­ergänzungsanspruch bzw. eine Anrechnungsbestimmung ableiten. Das heißt konkret: Sie können als Pflichtteilsergänzungsanspruch den Geldbetrag von den Erben fordern, um den sich ihr Pflichtteil erhöht, wenn sich der verschenkte Gegenstand noch im Nachlass befunden hätte.

Alles zum Pflichtteil und Pflichtteilsanspruch

Das heißt konkret: Sie können als Pflichtteilsergänzungsanspruch den Geldbetrag von den Erben fordern, um den sich ihr Pflichtteil erhöht, wenn sich der verschenkte Gegenstand noch im Nachlass befunden hätte.

2. Wann verjährt der Pflichtteil­sergänzungsanspruch?

Üblicherweise kommt es nach drei Jahren zur Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Allerdings beginnt diese Frist erst nach Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis über die Schenkung erhalten hat, die zum Pflichtteils­ergänzungsanspruch führt. Erfährt man beispielsweise im Mai 2021 von einer den Pflichtteils­ergänzungsanspruch auslösenden Schenkung, verjährt der Anspruch erst zum 31.12.2024.

Die maximale Verjährungsfrist für die Pflichtteil­sergänzungsanspruch beträgt 30 Jahre. Dies kann für Pflichtteilsberechtigte von Nutzen sein, wenn sie erst viele Jahre nach dem Tod des Erblassers von einer ergänzungspflichtigen Schenkung bzw. Zuwendung erfahren. Der Anspruch auf einen Pflichtteil verjährt übrigens unabhängig von dem Pflichtteil­sergänzungsanspruch.

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Das deutsche Erbrecht ist hochkomplex und für Laien oft nur schwer verständlich. Wer als Erblasser seinen Nachlass planen und unter Umständen Schenkungen zu Lebzeiten vornehmen möchte, um die Pflichtteile pflichtteilsberechtigter Erben zu schmälern, sollte nicht nur früh anfangen, sondern auch klug schenken, um ergänzungspflichtige Schenkungen zu vermeiden.

Natürlich können Sie auch gern auf uns zukommen, wenn Sie als Pflichtteilsberechtigter Hilfe bei der Durchsetzung eines Pflichtteils­ergänzungsanspruchs benötigen. Nehmen Sie jetzt Kontakt zu uns auf, um Ihr Recht durchzusetzen.

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3. Welche Personen haben einen Pflichtteils­ergänzungs­anspruch?

Pflichtteilsberechtigt sind die eigenen Abkömmlinge, Ehepartner und bei kinderlosen Erblassern die Eltern. Wer pflichtteilsberechtigt ist, kann auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch erheben. Ist ein Kind zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits verstorben, geht die Pflichtteilsberechtigung auf dessen Kinder, also die Enkel des Erblassers oder der Erblasserin, über.

4. Was bedeutet das Abschmelzungs­modell?

Seit 2010 gilt bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzung das sogenannte Abschmelzungsmodell, die für beschenkte Personen günstig und für Pflichtteilsberechtigte ungünstig ist. Der aus Schenkungen zu errechnende Pflichtteils­ergänzungs­anspruch schmilzt in zehn Jahren vor dem Todesfall jeweils pro Jahr um zehn Prozent auf Null ab. Stirbt der Erblasser im ersten Jahr nach der Schenkung, erhält der Pflichtteilsberechtigte noch den kompletten Pflichtteil. Im 11. Jahr bleibt vom ergänzenden Pflichtteil nichts mehr übrig (vgl. Tabelle: Abschmelzungsmodell).

Abschmelzmodell

Die Leistung des

Schenkungsgegenstandes durch den Erblasser erfolgt ...

Berücksichtigung des Schenkungswertes beim Pflichtteils­ergänzungs­anspruch mit ...

im 1. Jahr vor dem Erbfall

100%

im 2. Jahr vor dem Erbfall

90%

im 3. Jahr vor dem Erbfall

80%

im 4. Jahr vor dem Erbfall

70%

im 5. Jahr vor dem Erbfall

60%

im 6. Jahr vor dem Erbfall

50%

im 7. Jahr vor dem Erbfall

40%

im 8. Jahr vor dem Erbfall

30%

im 9. Jahr vor dem Erbfall

20%

im 10. Jahr vor dem Erbfall

10%

im 11. Jahr vor dem Erbfall oder früher

0%

Expertentipp von Ludger Bornewasser

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) muss für den Beginn der Ausschlussfrist nicht nur die Leistungshandlung (dies wäre bei einer Grundstücksschenkung zum Beispiel- der Notarvertrag), sondern auch der Leistungserfolg eintreten. Bei Grundstücksschenkungen beginnt deshalb die Frist erst mit der Eintragung des neuen Eigentümers ins Grundbuch, nicht also schon mit Abschluss des notariellen Schenkungsvertrages.

Eine Sonderregelung besteht für Schenkungen des Erblassers oder der Erblasserin zugunsten seines Ehegatten. In solchen Fällen beginnt die 10-Jahres-Frist erst mit Auflösung der Ehe zu laufen.

5. In welchen Fällen gilt das Abschmelz­modell nicht?

Sehr häufig verschenken Eltern einem Kind eine Immobilie unter Nutzungs- oder Nießbrauchsvorbehalt. Sie behalten sich ein Wohnrecht am verschenkten Haus vor oder sie bestimmen, dass sie selbst die Erträge aus Vermietung und Verpachtung der verschenkten Immobilie behalten können. In diesen Fällen beginnt die Zehnjahresfrist nicht zu laufen, mit der Folge, dass der Pflichtteil nicht abschmilzt. Der Wert der verschenkten, aber selbstgenutzten oder gewinnbringenden Immobilie ist voll bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzung im Erbfall zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Schenkung sehr weit – 30 Jahre und mehr – zurückliegt.

Beispiel zum Abschmelzmodell & Pflichtteils­ergänzungs­anspruch

Die Eltern von Max und Paula verstehen sich sehr gut mit ihrer Tochter, mit ihrem Sohn sind sie zerstritten, der Kontakt zu ihm ist abgebrochen. Schon im Alter von 55 Jahren überschreiben sie der Tochter ihre Villa in Berlin mit großem Garten, ein Objekt in bester Gegend. An der Immobilie behalten sie sich sowohl das Wohnrecht als auch den Nießbrauch vor.

Im Alter von 95 und 94 Jahren sterben die Eltern bei einem Autounfall. Paula denkt, als Alleinerbin nun ganz allein über die wertvolle Immobilie verfügen zu können. Doch dann erhält sie einen Brief vom Anwalt des Bruders, der einen Pflichtteils­ergänzungs­anspruch geltend macht: Die verschenkte Villa sei – aufgrund der Wertsteigerung seit der Schenkung - vier Mio. wert, der Erbteil von Max hätte zwei Mio. Euro betragen, der Pflichtteils­ergänzungs­anspruch aus der lange zurückliegenden Schenkung belaufe sich auf 1 Mio. Euro. Begründung: Die Eltern haben sich Wohnrecht und Nießbrauch vorbehalten.

Paulas Anwalt bestätigt, dass diese Berechnung korrekt sei. Paula muss die wertvolle Villa der Eltern verkaufen, um dem Bruder Max eine Mio. Euro als Pflichtteilsergänzung aus dem Nachlassbestand ausbezahlen zu können.

Expertentipp zum Pflichtteils­ergänzungs­anspruch

Vor allem bei Immobilienschenkungen in der Vergangenheit ist es für Pflichtteilsberechtigte von großem Interesse, prüfen zu lassen, ob sich Pflichtteils­ergänzungs­anspruche ergeben haben oder nicht.

6. Welche Besonderheiten gelten bei Schenkungen an den Ehegatten des Erblassers?

In einem weiteren Fall kommt das Abschmelzmodell nicht zur Anwendung: Eine Sonderregelung zugunsten von Pflichtteilsberechtigten gilt bei Schenkungen unter Ehegatten: Wird die Ehe durch Tod aufgelöst, sind alle während der gesamten Ehezeit von dem Erblasser an den überlebenden Ehegatten überreichten Schenkungen ergänzungspflichtig, auch wenn sie Jahrzehnte zurückliegen.

Informationen zum Ehegattenerbrecht & Besonderheiten der Güterstände

Expertentipp

Diese Regelung begünstigt vor allem die Kinder gegenüber dem länger lebenden Ehepartner, der jede Menge an Geschenken erhalten hat und den Kindern nichts davon abgeben will. Allerdings ist es oftmals recht schwierig zu recherchieren, was der Erblasser dem Partner geschenkt hat, weil die Ehepartner ihre Abkömmlinge nicht unbedingt über jeden Kauf und jede Schenkung in Kenntnis setzen.

Im Übrigen bleibt die Schenkung wirksam, der beschenkte Ehegatte muss die Wertgegenstände nicht herausgeben. Um über die Auskunftspflicht des oder der  Erben herauszubekommen, welche Schenkungen tatsächlich erfolgt sind, sind Pflichtteilsberechtigte auf die Unterstützung eines versierten Erbrechtlers angewiesen, der weiß, wie vorzugehen ist, um Schenkungen korrekt und vollständig zu ermitteln. Ein detailliertes Nachlassverzeichnis kann hier helfen.

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7. Aus welchen Zuwendungen ergibt sich kein Pflichtteils­ergänzungs­anspruch?

Bestimmte Schenkungen, sogenannte „Pflichtschenkungen“ und Anstandsschenkungen, begründen laut BGB keine Pflichtteils­ergänzungs­anspruche. Bei den Anstandsschenkungen handelt es sich um übliche Leistungen, etwa Geschenke zu Geburtstagen, an Weihnachten, bei Hochzeiten oder bei bestandenen Examina. Auch Mitbringsel wie Blumensträuße, Pralinenschachteln oder Weinflaschen sind nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie über die Zeit in großer Zahl bei vielen Gelegenheiten überreicht werden und insgesamt ein beträchtliches Vermögen darstellen, das nicht mehr existiert.

Was Pflichtschenkungen sind, ist nicht immer einfach zu erklären, da hier mit dem Begriff der „Sitte“ operiert wird, der heute anders verstanden wird als bei Schaffung des BGB im Jahr 1900. Was der Gesetzgeber mit der Formulierung „Pflichtschenkung“ sagen wollte, ist Folgendes: Wenn eine Person von anderen Menschen Leistungen in beträchtlicher Höhe ohne Gegenleistung erhalten hat, die „sittlich“ (nach allgemeiner Gewohnheit gut und angemessen) geboten waren, dann ergibt sich die „Pflicht“, das eigene Vermögen entsprechend der Höhe empfangener Leistungen den Personen zu verschenken, die etwas unentgeltlich geleistet haben.

Solche Anstands- und Pflichtschenkungen von einem Erblasser oder einer Erblasserin lösen keinen Pflichtteils­ergänzungs­anspruch für die Abkömmlinge und andere Pflichtteilsberechtigte aus.

Beispiele zu Pflicht- & Anstandsschenkungen:

Ein Sohn hat seine eigene Berufstätigkeit aufgegeben und das Geschäft der Eltern weitergeführt, als diese alt waren, und mit den Einnahmen dafür gesorgt, dass sie nicht verarmen und weiterhin in ihrem Haus leben können. Da war es sittlich geboten, dass die Eltern dem Sohn das Haus schenken, denn er konnte in dieser Zeit keine eigenen Einnahmen aus eigener Berufstätigkeit erwirtschaften und musste deutliche Nachteile hinnehmen. Diese Zuwendung der Eltern an den Sohn löst im Erbfall keinen Pflichtteils­ergänzungs­anspruch aus.

Eine Ehefrau hat ihr Vermögen für die notwendige medizinische Versorgung des kranken Ehemanns verwendet, weswegen es für den Ehemann sittlich geboten war, sein eigenes Vermögen, ein Aktiendepot, der Ehefrau zu übertragen.

Eine Nichte sorgte jahrelang ohne Gegenleistung für ihren alten dementen Onkel, da dessen Sohn aufgrund seiner Berufstätigkeit im Ausland nichts für seinen Vater tun konnte. Daraus ergab sich nach Anstand und Sitte eine Pflichtschenkung zugunsten der Nichte.

Auch bei den beiden vorangehenden Beispielen lösen die Zuwendungen im Erbfall keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch für die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge und andere Pflichtteilsberechtigte aus.

Expertentipp zum Pflichtteils­ergänzungs­anspruch & Pflichtschenkungen

Über die sittliche Begründung und die rechtmäßige Höhe von Pflichtschenkungen entsprechend den erhaltenen Leistungen müssen permanent Gerichte entscheiden. Denn häufig wehren sich die Erben dagegen, dass „Pflichtschenkungen“ überhaupt oder in der erfolgten Höhe anerkannt werden. Solche Klagen führen durchaus berechtigt zum Erfolg, wenn etwa eine minimale Leistung einer hohen Schenkung gegenübersteht.

8. Kann ein Erblasser oder die Erblasserin den Pflichtteils­ergänzungs­anspruch zu Lebzeiten durch Schenkungen reduzieren?

De jure (nach dem Recht) ist das nicht möglich. De facto (in der Realität) ist es sehr wohl auf mehrfache Weise machbar.

Wird eine Schenkung beispielsweise mit Bargeld vollzogen und gibt es keine Zeugen für die Schenkung, so führt diese Schenkung theoretisch zwar zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch, ist allerdings nicht nachweisbar. Ebenso kann ein Erblasser oder eine Erblasserin Rechnungen für andere Personen begleichen, ohne dass jemand davon erfährt oder es im Erbfall belegen kann.

Eine weitere Methode, die Entstehung von Pflichtteils­ergänzungs­anspruchen zu vermeiden, besteht darin, Vermögensübertragungen als reguläres Geschäft zu tarnen (schriftlicher Vertrag, belegbare Banküberweisung) aber das Geld in bar zurückzugeben, also ohne Nachweis zu verschenken. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, das „Abschmelzmodell“ zu nutzen und frühzeitig bei bester Gesundheit mit den Schenkungen zu beginnen – eine Strategie, die nicht greifen muss, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgehen kann.

Lesen Sie auch: Kinder enterben und Pflichtteil reduzieren

9. Reduzieren Vorempfänge, die eine pflichtteilsberechtigte Person bereits erhalten hat, den Pflichtteils­ergänzungs­anspruch?

Beim Pflichtteils­ergänzungs­anspruch sind „Vorempfänge“ (Schenkungen und Zuwendungen), die der Pflichtteilsberechtigte vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhalten hat, immer anzurechnen, so dass sich der Anspruch vermindert oder sogar komplett in Luft auflöst. Dies gilt auch dann, wenn der Erblasser in seinem Testament keine Anrechnung angeordnet hat. Es spielt auch keine Rolle, wann die Vorempfänge erfolgt sind.

Beispiel zum Pflichtteils­ergänzungs­anspruch & Schenkungen 

Der Sohn Andreas hat von seinem Vater vor 30 Jahren eine Eigentumswohnung im Wert von 600.000 Euro per Schenkung erhalten. Der Schwester Magdalena hat der Vater zum gleichen Zeitpunkt ein Haus im Wert von einer Million Euro geschenkt, sich jedoch das Wohnrecht vorbehalten. Nach dem Tod des Vaters und somit dem Eintritt des Erbfalls errechnet sich aus der Schenkung an die Schwester zwar ein Pflichtteils­ergänzungs­anspruch von 250.000 Euro (halber Erbteil entspricht der Pflichtteilsquote) zugunsten von Andreas, doch aufgrund des Vorempfangs (Eigentumswohnung im Wert von 600.000 Euro), der den Pflichtteils­ergänzungs­anspruch übersteigt, muss die Schwester ihm kein Geld ausbezahlen.

Expertentipp

Wer sein Testament schreibt, sollte sehr genau darauf achten, dass Regelungen zur Anrechnung oder Ausgleichung von Vorempfängen eindeutig und klar und somit juristisch unanfechtbar sind. Vielfach werden – gerade in älteren notariellen Urkunden – die Begriffe „Ausgleichung“ und „Anrechnung“ bei Zuwendungen des Erblassers zu seinen Lebzeiten nicht präzise verwendet, obwohl die Auswirkungen auf die Höhe des Pflichtteils erheblich sind.

Rechtlich präzise muss bei Vorempfängen unterschieden werden, ob

  • die Zuwendung auf den Pflichtteil angerechnet wird,
  • eine Ausgleichung auf den – gesetzlichen oder testamentarischen – Erbteil erfolgen soll,
  • auf den Pflichtteil angerechnet und beim Erbteil auszugleichen ist oder
  • eine Anrechnung nur beim Pflichtteils­ergänzungs­anspruch erfolgen soll.

Weitere FAQs zum Thema:

Unterliegen auch „gemischte Schenkungen“ der Pflichtteils­ergänzung?

Ein äußerst missverständlicher Begriff führt bei der Begründung und Berechnung von Pflichtteils­ergänzungs­anspruchen immer wieder zu Schwierigkeiten: der Begriff der „gemischten Schenkung“. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um eine Mischung aus Schenkung und entgeltlichem Geschäft. Von einer gemischten Schenkung ist die Rede, wenn zwei Personen Geschäft und Schenkung in der Weise vermischen, dass einer Leistung wertmäßig keine angemessene Gegenleistung gegenüber steht, also teilweise eine Schenkung vorliegt. In diesem Fall unterliegt nur der Schenkungsanteil (also der Wert, der über das Geschäft hinausgeht) der Pflichtteilsergänzung im Erbfall.

Expertentipp von Manfred Hacker

Die Begründung von Pflichtteils­ergänzungs­anspruchen aufgrund einer gemischten Schenkung ist häufig sehr schwierig. Denn nach dem „Prinzip der subjektiven Äquivalenz“ steht es den Vertragspartnern grundsätzlich frei, den Wert der auszutauschenden Leistungen selbst zu bestimmen. Diesem Prinzip wurden durch die Rechtsprechung jedoch Grenzen gesetzt: Beruht die Wertbestimmung auf reiner Willkür und entbehrt sie jeder sachlichen Grundlage, dann ist der Parteiwille nicht mehr maßgeblich und es wird meist zugunsten der pflichtteilsberechtigten Erben entschieden.

Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Beweisführung erleichtert. Wenn zwischen der Leistung des Erblassers oder der Erblasserin und der geforderten Gegenleistung ein deutliches Missverhältnis besteht, dann kann der Pflichtteilsergänzungsberechtigte geltend machen, dass sich die beiden Parteien über eine unentgeltliche Zuwendung verständigt haben. Die Rechtsprechung erleichtert es einem Anwalt ganz erheblich, vor Gericht Pflichtteils­ergänzungs­anspruche zu begründen und durchzusetzen.

Mit welchem Wert müssen Schenkungen zur Berechnung des Pflichtteils­ergänzungs­anspruchs berücksichtigt werden?

Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers erhöhen den Ergänzungsanspruch des Pflichtteils­berechtigten. Zur Berechnung des Wertes des Schenkungsgegenstandes, um den sich der fiktive Nachlass erhöht, unterscheidet das Gesetz zwischen einer verbrauchbaren Sache und einer nicht verbrauchbaren Sache.Eine verbrauchbare Sache (z.B. Wertpapiere oder Geld) wird mit dem Wert in Ansatz gebracht, den sie zum Zeitpunkt der Schenkung hatte.

Eine nicht verbrauchbare Sache (z.B. Immobilie) wird mit dem Wert in Ansatz gebracht, den sie zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers hat. Dies gilt nicht, wenn der Wert zum Schenkungszeitpunkt niedriger war (sogenanntes Niederstwertprinzip).

Wie berücksichtigt man Schenkungen unter dem Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts oder Wohnungsrechts?

Räumt sich der Schenker und potentielle Erblasser ein Nutzungsrecht an der geschenkten Immobilie in Form eines Nießbrauchsrechts oder Wohnungsrechts ein, dann wirkt sich dies gemäß der Rechtsprechung auf den Wert des Schenkungsgegenstandes in der Weise aus, dass hier nur die Wertdifferenz zwischen dem Sachwert und dem kapitalisierten Nutzungswert in Ansatz gebracht wird.

Wie werden Schenkungen gegen Pflegeleistungen bewertet?

Grundsätzlich müssen Pflegeleistungen als Gegenleistung angerechnet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Pflegeleistung nach Umfang und Zeit vertraglich genau festgelegt und dementsprechend ausgeführt wird.

Problematisch wird es dann, wenn zum Zeitpunkt der Schenkung noch keine Pflegeleistungen erbracht werden müssen und diese möglicherweise erst in der Zukunft zur Anwendung kommen oder gar nicht. Der BGH hat daher mit Urteil vom 28.09.2016 (IV ZR 513/15, Rn. 11) unter anderem ausgeführt, dass für die Bewertung nicht die spätere tatsächliche Entwicklung einer Pflegebedürftigkeit maßgeblich ist, sondern die reine Prognoseentscheidung der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

Was ist das Niederstwertprinzip?

Gemäß § 2352 Abs. 2 BGB ist bei der Bewertung von nicht verbrauchbaren Sachen das sogenannte Niederstwertprinzip anzusetzen. Hierbei wird bei der Berechnung des Wertes einer Sache der niedrigere Wert entweder zum Zeitpunkt des Erbfalls oder zum Zeitpunkt der Schenkung angesetzt. Maßgeblicher Stichtag ist hier der Schenkungsvollzug. Bei beweglichen Sachen der Übergabezeitpunkt und bei Immobilien der Tag der Eintragung des Eigentümerwechsels im Grundbuch.