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Reform des Pflichtteilsrechts

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat am 16.3.2007 anlässlich des 2. Deutschen Erbrechtstages in Berlin die Eckpunkte einer geplanten Reform des Erbrechts vorgestellt. Das BVerfG (NJW 2005, 1561) hatte das Pflichtteilsrecht als unentziehbare und bedarfsunabhängige Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG unterstellt. Der nachfolgende Beitrag erläutert, wie das Pflichtteilsrecht im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben modernisiert und an gewandelte gesellschaftliche Gegebenheiten angepasst werden soll.

I. Vereinfachung des § 2306 I BGB
§ 2306 I BGB stellt in der jetzigen Fassung eine für den pflichtteilsberechtigten Erben sehr komplizierte und in der Praxis oft schwer handhabbare Regelung dar. Ist der ihm hinterlassene Erbteil mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastet, muss er innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist von regelmäßig sechs Wochen ermitteln, ob der hinterlassene Erbteil kleiner (bzw. gleich groß) oder größer als sein Pflichtteil ist. Nur im letzteren Fall kann er ausschlagen und seinen vollen Pflichtteil fordern (vgl. Becker/Klinger, NJW-Spezial 2006, 301).

Probleme bereitet § 2306 I BGB insbesondere dann, wenn der Testierende seinen Nachlass nicht nach Erbquoten verteilt, sondern einzelnen Erben bestimmte Gegenstände zugewiesen hat. Hier muss der belastete Erbe erst im Rahmen der Testamentsauslegung ermitteln, welchen Wert die Einzelgegenstände haben und welche Erbquote sich daraus für ihn ergibt. Noch schwieriger wird für den Erben die Entscheidung, ob er ausschlagen soll, wenn lebzeitige Vorempfänge anzurechnen (§ 2315 BGB) oder auszugleichen (§ 2316 BGB) sind. Nach der so genannten Werttheorie müssen dann der Wert des Erb- und derjenige des Pflichtteils ermittelt und verglichen werden. Fehlentscheidungen beim Einschätzen dieser Situationen haben für den pflichtteilsberechtigten Erben schwerwiegende Folgen: Ist sein Pflichtteil gleich oder kleiner als der Erbteil, steht ihm bei Ausschlagung nur noch der Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB) zu. Zwar hat der BGH (NJW 2006, 3353; vgl. dazu NJW-Spezial 2007, 14) in diesen Fällen die Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung erweitert; dennoch ist dieser Weg mühsam und führt nicht zur im Erbrecht gebotenen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

Der Reformentwurf sieht vor, dass der beschränkte oder belastete Erbe – unabhängig von der Höhe des Erbteils – ein Wahlrecht hat: Er kann entweder den Erbteil mit allen Belastungen oder Beschwerungen annehmen oder den Erbteil ausschlagen und dennoch den Pflichtteil verlangen. Von Nachteil dabei ist, dass Beschränkungen oder Beschwerungen nicht mehr, wie in der jetzigen Fassung des § 2306 I 1 BGB, von selbst wegfallen.

II. Erleichterte Anrechnung nach § 2315 I BGB
Die Anrechnung einer Zuwendung auf den Pflichtteil ist in der jetzigen Fassung des § 2315 I BGB sehr formalistisch und wenig praxisnah ausgestaltet. Den Beteiligten ist vielfach nicht bekannt, dass eine Anrechnungsanordnung bereits vor oder bei der Zuwendung getroffen werden muss und später nur in notariell beurkundungspflichtiger Form nachgeholt werden kann. Um die Testierfreiheit des Erblassers zu stärken, soll der Erblasser nach dem Reformentwurf auch nachträglich im Rahmen seiner letztwilligen Verfügung eine Anrechnung früherer Zuwendungen bestimmen können. Der Pflichtteilsberechtigte müsste künftig also immer damit rechnen, dass der Erblasser eine zunächst anrechnungsfreie Zuwendung nachträglich zu einer anrechnungspflichtigen macht.

III. „Pro-Rata“-Lösung bei § 2325 III BGB
Nach der Ausschlussfrist des § 2325 III BGB bleiben Schenkungen beim Pflichtteilsergänzungsanspruch unberücksichtigt, wenn zur Zeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstands verstrichen sind. Dieses „Alles-oder-Nichts“-Prinzip führt zu willkürlichen Ergebnissen. Der Beschenkte, der gem. § 2329 BGB subsidiär haftet, kann sich vor Ablauf dieser Frist seines Erwerbs nicht sicher sein. Der Reformentwurf sieht eine gleitende „Pro-Rata“-Lösung vor: Die Schenkung wird nur noch innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall vollständig, im zweiten Jahr vor dem Erbfall noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 usw. berücksichtigt. Diese Lösung würde mehr Gerechtigkeit bringen, ist aber in der praktischen Anwendung etwas komplizierter.

IV. Maßvolle Erweiterung der Stundungsgründe gem. § 2331a I BGB
Besteht das Vermögen des Erblassers im Wesentlichen aus einer Immobilie oder einem Unternehmen, so kann der Erbe gezwungen sein, diese Nachlasswerte zu zerschlagen, um den Pflichtteil auszahlen zu können. Da die gesetzlichen Anforderungen an die Stundung des Pflichtteilsanspruchs in der jetzigen Fassung des § 2331a I BGB ungewöhnlich hoch sind, hat diese Regelung für die Praxis nur sehr geringe Bedeutung. Der Reformentwurf will die Voraussetzungen der Stundung maßvoll erweitern: Zukünftig soll jeder Erbe, nicht nur der selbst pflichtteilsberechtigte, Stundung verlangen dürfen. Während bislang die Pflichtteilserfüllung den Erben „ungewöhnlich hart“ treffen musste, soll künftig schon eine „unbillige Härte“ ausreichen.

V. Modernisierung der Pflichtteilsentziehungsgründe
Die Regelung der Pflichtteilsentziehungsgründe in den §§ 2333 ff. BGB ist unsystematisch und nicht mehr zeitgemäß. Die Reform sieht zunächst eine einheitliche Regelung für alle Pflichtteilsberechtigten vor. Der Entziehungsgrund des ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels soll gestrichen werden. Eine vorsätzlich begangene Straftat des Pflichtteilsberechtigten, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung geführt hat, stellt zukünftig einen Entziehungsgrund dar, wenn eine Teilhabe am Nachlass dem Erblasser gegenüber unzumutbar wäre.

VI. Bessere Honorierung von Pflegeleistungen im Rahmen der Ausgleichung gem. §§ 2316, 2057a BGB
Gem. § 2057a BGB, der über § 2316 I 1 BGB auch im Pflichtteilsrecht Auswirkungen hat, können derzeit nur Abkömmlinge verlangen, dass ihre Leistungen, die sie über einen längeren Zeitraum hinweg im Haushalt des Erblassers erbracht haben, beim Erbfall ausgeglichen werden. Nach dem Reformentwurf soll künftig bei allen gesetzlichen Erben eine Ausgleichung möglich sein. Weiterhin soll nicht mehr erforderlich sein, dass mit der Pflege ein Verzicht auf berufliches Einkommen verbunden ist. Die praktischen Probleme des geltenden Rechts bei der Berechnung der Ausgleichung von Pflegeleistungen versucht der Entwurf durch einen Verweis auf die Pflegesätze des § 36 III SGB XI zu lösen.

VII. Konsequenzen für die Praxis
Sollte die Reform umgesetzt werden, würden für alle Erbfälle nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes die neuen Regelungen gelten. Der Berater hat dabei zu berücksichtigen, dass sich Ereignisse aus der Zeit vor dem In-Kraft-Treten auf spätere Erbfälle auswirken können:
- Schon vor dem In-Kraft-Treten kann testamentarisch die Anrechnung von Zuwendungen angeordnet und dadurch die spätere Pflichtteilshaftung reduziert werden.
- Pflegeleistungen, die vor dem In-Kraft-Treten erbracht werden, sind danach unter vereinfachten Voraussetzungen ausgleichungspflichtig.
- Bei Beschränkungen und Beschwerungen in letztwilligen Verfügungen aus der Zeit vor In-Kraft-Treten, besteht später nicht mehr die Gefahr des automatischen Wegfalls nach der jetzigen Regelung des § 2306 I 1 BGB. Dies eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. beim Behindertentestament).
- Stirbt der Erblasser einen Tag vor In-Kraft-Treten des Gesetzes, ist eine Schenkung innerhalb des Zehnjahreszeitraums des bisherigen § 2325 III BGB in vollem Umfang ergänzungspflichtig; stirbt er nach dem In-Kraft-Treten, gilt die neue Quotenregelung.
- Im Fall einer Pflichtteilsentziehung sollten die erweiterten Entziehungsgründe schon vor dem In-Kraft-Treten im Testament berücksichtigt werden.

VIII. Fazit
Die geplante Reform des Pflichtteilsrechts stärkt vor allem die Position des Erben. Die Neuerungen sind insgesamt zu begrüßen und erleichtern die Nachfolgeregelung insbesondere in Familienunternehmen.

(Rechtsanwältin Agnes Fischl, Unterhaching, und Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München; Quelle: NJW-Spezial 2007, Heft 6)



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