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Erbrechtliche Gestaltungen in ´Patchwork´-Familien

In Deutschland ist heute jede sechste Familie eine so genannte „Patchwork“-Familie, also eine Familie, in der Vater, Mutter und Kinder aus verschiedenen Ursprungsfamilien oder Partnerschaften stammen. Diese Familienform birgt erhebliche erbrechtliche Risiken, die aber durch individuelle testamentarische Gestaltungen weitestgehend begrenzt werden können.

I. Erbrechtliche Probleme bei Patchwork-Familien
Beim Tod eines Elternteils sind nur dessen Abkömmlinge und sein Ehegatte gesetzliche Erben. Sollen Stiefkinder oder ein nicht verheirateter Lebenspartner des Erblassers für den Todesfall abgesichert werden, muss eine letztwillige Verfügung errichtet werden. Unverheiratete Eltern können nicht durch gemeinschaftliches Testament vorsorgen (§ 2265 BGB); sie müssen einen – den Überlebenden grundsätzlich bindenden – Erbvertrag oder – einseitig widerrufliche – Einzeltestamente errichten.

Hat ein verwitweter Elternteil mit seinem früheren Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag errichtet, ist eine eventuelle Bindungswirkung dieser letztwilligen Verfügungen (§§ 2271 II, 2289 I 2 BGB) zu beachten (zur Beseitigung dieser Bindungswirkung vgl. Klinger/Scheuber, NJW-Spezial 2006, 157). Bei Schenkungen eines gebundenen Erblassers drohen nach dem Erbfall Rückforderungsansprüche der Schluss- bzw. Vertragserben aus § 2287 BGB. Zum Schutz der beschenkten Patchwork-Familienmitglieder sollte ein – die Rückforderung ausschließendes – lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers (Fallgruppen bei Palandt/Edenhofer, BGB, 2007, § 2287 Rdnr. 7) in der Zuwendungsvereinbarung dokumentiert werden.

Geschiedene, die Kinder aus früheren Ehen haben, laufen Gefahr, dass der Ex-Partner mittelbar über das gemeinsame Kind am eigenen Nachlass partizipiert: Stirbt nämlich das Kind ohne Hinterlassung eigener Abkömmlinge, so ist der andere Elternteil gesetzlicher Erbe zweiter Ordnung. Aber selbst wenn das Kind eine letztwillige Verfügung errichtet hat, stehen dem anderen Elternteil zumindest Pflichtteilsansprüche gegen das gemeinsame Kind zu (§ 2303 II BGB). Geschiedene Ehepartner sollten hier durch ein so genanntes „Geschiedenentestament“ vorsorgen: Der Nachlass des Geschiedenen wird dabei entweder durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft oder durch ein Herausgabevermächtnis vor dem Zugriff des Ex-Ehepartners geschützt (Einzelheiten bei Klinger/Scheuber, NJW-Spezial 2006, 445; Muster bei Schulte, Testamentsgestaltung, 2006, Rdnr. 405).
Geschiedene Ehegatten müssen die mögliche Fortgeltung eines früheren Ehegattentestaments trotz Scheidung beachten. Der BGH (NJW 2004, 3113) hat nämlich entschieden, dass die Wechselbezüglichkeit von letztwilligen Verfügungen (§ 2270 BGB) und damit deren Bindungswirkung (§ 2271 II BGB) bei Auflösung der Ehe ausnahmsweise dann nicht wegfällt, wenn ein entsprechender Fortgeltungswille der Eheleute i.S. des § 2268 II BGB bei Testamentserrichtung festgestellt werden kann (Palandt/Edenhofer, § 2268 Rdnr. 2). „Wechselbezügliche“ Verfügungen können dann zu Lebzeiten der (geschiedenen) Ehegatten nur durch Zustellung einer notariell beurkundeten Erklärung (§§ 2271 I 1, 2296 BGB) einseitig widerrufen werden. Geschiedenen Ehegatten ist regelmäßig nicht bewusst, dass ein früheres Ehegattentestament bei Vorliegen eines Fortgeltungswillens nicht mehr durch ein privatschriftliches Testament zu Gunsten der „neuen“ Familie widerrufen werden kann (weitere Einzelheiten bei Abele/Klinger, NJW-Spezial 2005, 157). Zur Wiederherstellung der Testierfreiheit kommt eine Testamentsanfechtung gem. § 2079 BGB (z.B. im Falle einer Wiederheirat oder der Geburt eines Kindes) in Betracht, wobei die Anfechtungsfrist von einem Jahr (§ 2082 BGB) zu beachten ist.

Nicht bekannt ist oft, dass der Ex-Ehegatte seinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gem. § 1586b BGB gegen die Erben des geschiedenen Ehegatten geltend machen kann. Diese haften begrenzt auf den Betrag des fiktiven Pflichtteils des Ex-Ehegatten. Diese fiktive Pflichtteilsquote wird zwar durch neu hinzutretende pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge, nicht aber bei einer Wiederverheiratung des Unterhaltspflichtigen gemindert (Palandt/Brudermüller, § 1586b Rdnr. 7).

II. Letztwillige Verfügungen in Patchwork-Familien
Eheleute mit Kindern aus verschiedenen Beziehungen möchten sich oft für den ersten Erbfall gegenseitig letztwillig absichern; schlussendlich soll aber das Vermögen bei den jeweils eigenen Kindern ankommen. Dies kann z.B. dadurch erreicht werden, dass der andere Ehepartner als Vorerbe und die eigenen Abkömmlinge als Nacherben eingesetzt werden (Muster bei Schulte, Testamentsgestaltung, Rdnr. 245). Tritt der Nacherbfall ein, haben die Abkömmlinge des anderen Ehegatten dann keinerlei Rechte, insbesondere keine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche an diesem Nachlass (vgl. Jülicher/Klinger, NJW-Spezial 2007, 157).

Alternativ hierzu bietet sich an, dass die jeweiligen eigenen Kinder als Vollerben eingesetzt werden und der Ehegatte durch Geld-, Nießbrauchs-, Wohnungsrechts- und/oder Hausratsvermächtnisse versorgt wird (Muster bei Schulte, Testamentsgestaltung, Rdnr. 434). Die Durchsetzung dieser Vermächtnisse kann durch Einsetzung des Ehegatten als Testamentsvollstrecker abgesichert werden.
In die letztwillige Verfügung sollte auch ein Anfechtungsverzicht i.S. der §§ 2281, 2078, 2079 BGB aufgenommen werden, damit die letztwillige Verfügung auch für den Fall der Wiederverheiratung oder der Geburt eines weiteren Kindes bestandsfest bleibt.

III. Pflichtteilsrisiken bei Patchwork-Familien
Bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen muss der Testierende stets den Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen beachten: Dies sind zum einen die leiblichen oder adoptierten Abkömmlinge des Erblassers, ein möglicherweise noch nicht geschiedener, aber getrennt lebender Ehegatte und bei kinderlosen Erblassern dessen Eltern (§ 2303 II BGB). Stiefkindern oder Geschwistern des Erblassers steht dagegen kein Pflichtteilsrecht zu. Der Erblasser sollte versuchen, mit diesen Pflichtteilsberechtigten einen – beurkundungspflichtigen – Pflichtteilsverzichtsvertrag abzuschließen, der regelmäßig nur gegen Abfindung zu erhalten sein wird. Er sollte auch darauf achten, dass lebzeitige Zuwendungen an diese pflichtteilsberechtigten Personen „unter Anrechnung auf den Pflichtteil“ (§ 2315 BGB) erfolgen. Zu weiteren Möglichkeiten, wie das Pflichtteilsrisiko mittels letztwilliger Verfügung reduziert werden kann, vgl. Jülicher/Klinger, NJW-Spezial 2007, 157. Werden – wie oben unter II erläutert – die eigenen Kinder als Vollerben eingesetzt, empfiehlt es sich, diese durch einen wechselseitigen Pflichtteilsverzicht der Eheleute vor Pflichtteilsansprüchen des Stiefelternteils zu schützen.

IV. Fazit
Bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen für die Mitglieder von Patchwork-Familien verbietet sich jede „Standardlösung von der Stange“. Der Berater muss vielmehr individuelle Lösungen entsprechend den konkreten familiären Verhältnissen entwickeln.

Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und Rechtsanwältin Dr. Ulrike Tremel, Unterhaching bei München (Quelle: NJW-Spezial 2007, Heft 5)



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