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Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts - Auswirkungen für die Beratungspraxis?

Das BVerfG hat am 31.1.2007 eine lange erwartete Entscheidung veröffentlicht (NJW 2007, 573), wonach das Erbschaftsteuerrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung verfassungswidrig ist. Für den Berater stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen dies für die Praxis hat.

I. Gründe für die Verfassungswidrigkeit
Die erbschaftsteuerlichen Bewertungsvorschriften führen nach Auffassung des BVerfG bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen nicht zu Steuerwerten, die dem gemeinen Wert angenähert sind. Sie sind nicht ausreichend belastungsgleich und folgerichtig ausgestaltet.

1. Bewertung von Immobilien
Bei bebauten Grundstücken wird durch das gesetzlich angeordnete Ertragswertverfahren mit einem starren Einheitsvervielfältiger von 12,5 eine Bewertung mit dem gemeinen Wert regelmäßig verfehlt. Diese Bewertungsmethode führt im rechnerischen Durchschnitt zu Grundbesitzwerten, die nur etwa 50 % des gemeinen Werts erreichen. In Einzelfällen kann der steuerliche Wert auch bei weniger als 20 % oder über 100 % des gemeinen Werts liegen. Der Bewertung haftet daher etwas Zufälliges und Willkürliches an.

2. Bewertung von Betriebsvermögen
Beim Betriebsvermögen verhindert die weitgehende Übernahme der Steuerbilanzwerte strukturell die Annäherung an den gemeinen Wert. Dies führt zu Besteuerungsergebnissen, die mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar sind. Da immaterielle Wirtschaftsgüter wie etwa der Geschäfts- oder Firmenwert eines Unternehmens in die erbschaftsteuerliche Bewertung nicht einfließen, bleibt gerade bei ertragsstarken Unternehmen der Steuerwert weit hinter dem gemeinen Wert zurück.

3. Bewertung von Kapitalgesellschaftsanteilen
Bei den zu schätzenden, nicht börsennotierten Anteilen führt der vom Gesetzgeber angeordnete Steuerbilanzwertansatz zu Buchwerten, die im Regelfall deutlich hinter der Teilwertbewertung zurückbleiben. Die Gesellschaften sind in höchst unterschiedlichem Maße in der Lage, von den Bilanzierungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Das bewirkt zwingend eine große Streubreite der Steuerwerte im Verhältnis zu den Verkehrswerten.

II. Die Vorgaben des BVerfG

1. Umsetzung bis zum 31.12.2008
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber bis zum 31.12.2008 Zeit gegeben, eine neue, verfassungskonforme Regelung zu schaffen. Nach verschiedenen Pressemeldungen wollen aber die Bundesländer, denen die Schenkung- und Erbschaftsteuer zufließt, eine rasche Umsetzung der Erbschaftsteuerreform, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die vom BVerfG vorgegebene Zeit für die Umsetzung in vollem Umfang ausgenutzt werden wird. Unwahrscheinlich ist, dass der Gesetzgeber die Neuregelung mit einer Rückwirkung versieht, etwa zum 1.2.2007. Ein Vertrauensschutz besteht beim Bürger jedenfalls seit dem Tag der Veröffentlichung des Beschlusses am 31.1.2007 nicht mehr.

2. Fortgeltung des Erbschaftsteuergesetzes bis zu einer Neuregelung
Obwohl die derzeitigen Regeln im Erbschaftsteuerrecht verfassungswidrig sind, werden nach der Entscheidung des BVerfG Schenkungs- und Todesfälle vorerst weiter nach dem alten Recht besteuert. Wegen dieser klaren Aussage können Immobilieneigentümer und Unternehmensnachfolger aufatmen: Bereits ergangene Steuerbescheide, mit denen die Bewertung der Grundstücke und des Betriebsvermögens festgestellt worden sind, standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dieses Damoklesschwert ist jetzt wohl vom Tisch. Da das bisherige Erbschaftsteuerrecht bis Ende 2008 trotz seiner Verfassungswidrigkeit weiterhin Gültigkeit behält, ergibt sich als Konsequenz, dass der Vorbehalt dieser Bescheide nunmehr aufgehoben werden muss und eine nachträgliche Änderung der Besteuerung ausscheidet.

3. Verkehrswertorientierte Bewertung
Das BVerfG verlangt vom Gesetzgeber, dass Immobilien, Betriebe und sonstiges Vermögen zukünftig im Schenkungs- und Erbfall – auf einer ersten Stufe der Besteuerung – einheitlich am Verkehrswert orientiert bewertet werden. Das Gericht lässt es aber ausdrücklich zu, dass – auf einer zweiten Stufe – bestimmte Vermögenswerte durch Verschonungsregelungen steuerlich privilegiert werden. Die Begünstigungswirkungen müssen – so das BVerfG – ausreichend zielgenau und innerhalb des Begünstigtenkreises möglichst gleichmäßig eintreten. So könnten etwa Immobilien, die in der Familie bleiben, oder Betriebe, die vom Nachfolger noch mindestens zehn Jahre fortgeführt werden, von der Besteuerung völlig ausgenommen oder einem niedrigeren Steuersatz unterstellt werden. Der Berater muss deshalb darauf hinweisen, dass zukünftig unter Umständen ein wertvolles Familienwohnheim völlig steuerfrei übertragen werden kann, während nach altem Recht Schenkungsteuer anfällt, sofern die geltenden Freibeträge überschritten werden.

III. Gesetzesinitiativen zum 1.1.2007

1. Das Jahressteuergesetz 2007
Bisher wurden Grundbesitzwerte für unbebaute Grundstücke auf die zum 1.1.1996 ermittelten Bodenrichtwerte festgesetzt, was häufig zu völlig überholten Werten führte. Dem wurde noch im Jahr 2006 durch das Jahressteuergesetz 2007 mittels einer Änderung des Bewertungsgesetzes begegnet: Danach müssen seit dem 1.1.2007 Grundbesitzwerte aktuell zum Besteuerungszeitpunkt ermittelt werden.

2. Das Gesetz zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge Für den Bereich der Unternehmensnachfolge hatte die Bundesregierung bereits am 25.10.2006 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Unternehmen beim Generationenwechsel im Bereich der Erbschaft- und Schenkung-steuer entlasten soll. Das bisher gültige Steuerrecht gewährt für betriebliches Vermögen, das durch Schenkung oder im Erbfall auf die nächste Generation übergeht, einen Freibetrag von 225000 Euro; vom danach verbleibenden Betrag ist ein Bewertungsabschlag von 35% vorzunehmen. Diese beiden Vergünstigungen fallen rückwirkend weg, wenn der Nachfolger den Betrieb nicht mindestens fünf Jahre weiterführt.

Wesentliches Merkmal der von der Bundesregierung geplanten Neuregelung ist, dass die steuerliche Entlastung an den Erhalt von Arbeitsplätzen gekoppelt wird. Die Entlastung setzt voraus, dass der Nachfolger das übergebene Unternehmen über zehn Jahre fortführt. Die auf produktiv eingesetztes Vermögen entfallende Steuer wird für diesen Zeitraum zinslos gestundet. Nach zehn Jahren entfällt die Steuer gänzlich. Nicht-produktives Vermögen (wie z.B. vermieteter Grundbesitz oder Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von unter 25%) genießt keine Privilegierung bei der Erbschaftsbesteuerung. Dies soll verhindern, dass die Steuerpflichtigen nur aus erbschaft- und schenkungsteuerlichen Gründen Vermögensgegenstände des Privatvermögens, insbesondere privates Immobilienvermögen, in Betriebsvermögen überführen (z.B. durch Übertragung auf eine gewerblich geprägte Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft).

Der Gesetzesentwurf wurde in der Literatur sehr kritisch besprochen (Fundstellen bei Schulz/Werz, ErbStB 2007, 43); die von allen Seiten zusammengetragene Mängelliste ist lang. Da die Bundesregierung prüfen will, ob das Gesetzgebungsverfahren im Lichte der Entscheidung des BVerfG fortgesetzt werden kann, bleibt zu hoffen, dass der Entwurf nochmals gründlich unter Beachtung der richterlichen Vorgaben überarbeitet wird.

IV. Schlussfolgerungen für die Praxis

1. Beratung des Immobilieneigentümers
Die Vorgabe des BVerfG, wonach sich die Bewertung spätestens ab 1.1.2009 am gemeinen Wert zu orientieren hat, wird bei Erben größerer Immobilieneinheiten zu einer deutlich höheren Steuerbelastung führen. Diese sollten deshalb die – noch – geltenden günstigen Bewertungsvorschriften wahrnehmen und sich diesen Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen lassen. Wer zu spät handelt, den bestraft der Gesetzgeber. Das Einfamilienhaus, das die Eltern an die Kinder vererben, soll dagegen nach den Vorstellungen der Politik auch weiterhin steuerfrei bleiben.

2. Beratung des Unternehmers
Vielfach wird die Besteuerung nach dem Gesetzesentwurf für den Unternehmensnachfolger günstiger sein, weil eine völlige Steuerfreistellung natürlich vorteilhafter ist als ein bloßer 35 %- iger Bewertungsabschlag. Bis zur Verkündung des Gesetzes können – nach der jetzigen Fassung des Entwurfs – Unternehmen, die nach dem 1.1.2007 übertragen werden, auf Antrag der Neuregelung unterstellt werden. Der Übernehmer hat also in dieser Übergangsphase das Recht, zwischen der alten und neuen Besteuerung zu wählen (ein ausführlicher Belastungsvergleich anhand von Beispielen findet sich bei Schulz/Werz, ErbStB 2007, 43, 44). Der Berater der Unternehmerfamilie wird schon jetzt aufzeigen müssen, ob sich eine Übertragung noch vor einer Änderung des Erbschaftsteuergesetzes lohnt oder die Neuregelung abgewartet werden soll.

(Quelle: Fischl/Klinger, NJW-Spezial 2007, Heft 3)



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