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Entstehung der Erbschaftsteuer durch unbezifferte Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs

Der Pflichtteilsanspruch unterliegt gem. § 3 I Nr. 1 ErbStG der Besteuerung mit seiner „Geltendmachung“ unabhängig davon, ob er bereits betragsmäßig beziffert worden ist oder tatsächlich gegenüber dem Erben durchgesetzt werden kann.

Da sich der Kläger mit der Alleinerbin seines im Juni 1995 verstorbenen Vaters nicht über die ihm zustehenden Pflichtteilsansprüche geeinigt hatte, beauftragte er Rechtsanwälte mit der Verfolgung seiner Interessen. Diese führten in ihrem an die Erbin gerichteten Schreiben aus, sie hätten namens und im Auftrage ihres Mandanten „hiermit dessen Pflichtteilsansprüche zu machen“. Im Dezember 1995 forderten die Anwälte die Erbin unter Fristsetzung auf, nach § 2314 BGB im Einzelnen bezeichnete Auskünfte zu erteilen. 1998 einigten sich Kläger und Erbin über die Pflichtteilshöhe. Da 1995 und 1998 unterschiedliche Freibetragsgrenzen galten, hatte der BFH die Frage zu entscheiden, ob der Pflichtteilsanspruch bereits mit dem unbezifferten Auskunftsbegehren im Jahr 1995 „geltend gemacht“ wurde. Über dieses Problem hinausgehend liefert das Urteil des BFH auch wichtige Hinweise dafür, wie eine unüberlegte Geltendmachung von Pflichtteilsrechten zum Verlust steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten (wie etwa dem Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung) führen kann.

Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 I Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB). Die Steuer dafür entsteht nach § 9 I Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs. Dem bloßen Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall (§ 2317 I BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten geschehen und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt (BFH, ZEV 1999, 34). Damit korrespondierend kann der Erbe gemäß § 10 I 2 i.V.m. V Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. Das bloße Bestehen von Pflichtteilsverbindlichkeiten ist auch insoweit ohne steuerrechtliche Bedeutung (BFH, ZEV 1999, 34).

Die „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs besteht im ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden (BFH, ZEV 2004, 127), die Höhe des Anspruchs aber nicht beziffern. Dies ist dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht Erbe ist, regelmäßig erst nach Erteilung der in § 2314 I 1 BGB vorgesehenen Auskunft durch den Erben möglich.
Eine Auslegung des § 3 I Nr. 1 ErbStG dahingehend, dass unter Geltendmachung des Pflichtteils abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nur die Erhebung eines bezifferten Anspruchs verstanden werden kann, ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar und zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beteiligten auch nicht erforderlich. Der Pflichtteilsberechtigte kann sich nämlich darauf beschränken, vom Erben zunächst nur Auskunft gemäß § 2314 BGB zu verlangen, und sich die Geltendmachung des Pflichtteils vorbehalten. Die Erbschaftsteuer entsteht dann zunächst noch nicht.

Praxishinweis: Mit der Geltendmachung entsteht die Erbschaftsteuer unabhängig von der späteren Realisierung des Pflichtteilsanspruchs. Dies betrifft z.B. die Fälle, in denen die Durchsetzbarkeit mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Erben in Frage steht oder der Nachlass nach dem Stichtag etwa aufgrund von Kursänderungen eines Aktiendepots entwertet ist. Die Vorschrift des § 2314 I BGB – ggf. in Kombination mit einer Stufenklage nach § 254 ZPO – erlaubt eine differenzierte Durchsetzung sowohl von Auskunfts- als auch Bewertungsansprüchen vor einer Entscheidung über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Der Berater muss also bei der Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruchs strikt darauf achten, dass zunächst nur der noch keine Steuerpflicht auslösende Auskunfts- und ggf. Bewertungsanspruch nach § 2314 I 1 und 2 BGB geltend gemacht wird, um nicht unnötig Risiken in Kauf zu nehmen und Gestaltungsmöglichkeiten zu verlieren (instruktiv dazu Messner, ZEV 2006, 515).

(BFH, Urteil vom 19.7.2006 II R 1/05 = ZEV 2006, 514)



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