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Feststellung der Testierunfähigkeit zu Lebzeiten des Erblassers?

Rechtsanwälte Klaus Becker, Aachen,
und Bernhard F. Klinger, München

Die Feststellung der Testierunfähigkeit stößt in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten, wenn es um Vorgänge geht, die Jahre vor dem Erbfall zurückliegen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob gesetzliche Erben oder Personen, die in früheren Testamenten bedacht wurden, schon zu Lebzeiten des Erblassers dessen Testierunfähigkeit gerichtlich feststellen lassen können.

I. Klage auf Feststellung der Testierunfähigkeit?
Die überwiegende Meinung hält Klagen Dritter auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Testamentes zu Lebzeiten des Erblassers für unzulässig (Hagena, in: MünchKomm, 4. Aufl., 2004, § 2229 Rdnr. 50; Lange, NJW 1963, 1571). Begründet wird dies damit, dass der klagende – gesetzliche oder durch ein früheres Testament eingesetzte – Erbe vor dem Erbfall nur eine Erwerbschance hat und es deshalb an einem Rechtsverhältnis i. S. von § 256 I ZPO fehlt. Zu berücksichtigen sei auch das Interesse des Erblassers, zu Lebzeiten nicht mit Prozessen über seinen Nachlass überzogen zu werden, da dies als unsittlich angesehen wird. Hierfür spricht auch der Rechtsgedanke des § 311b IV BGB, der jede Disposition über den Nachlass eines noch lebenden Dritten verbietet. Zudem habe der Erblasser das Recht seine letztwilligen Verfügungen geheim zu halten; dem würde es widersprechen, wenn der Inhalt gegen seine Willen auf dem Umweg über eine Klage oder ein Gutachten bekannt werden würde (Zimmermann, Der Verlust der Erbschaft, 2006, Rdnr. 22).

Ausnahmsweise wird eine Feststellungsklage, die vom Erblasser ausgeht, für zulässig erachtet, wenn dieser neu testieren und feststellen lassen will, dass ein früheres bindendes Ehegattentestament oder ein Erbvertrag wegen damaliger Testierunfähigkeit unwirksam ist (BayObLG, NJW-RR 1996, 457; Schneider, ZEV 1996, 56).

II. Selbstständiges Beweisverfahren zur Klärung der Testierfähigkeit?
Das OLG Koblenz (ZEV 2003, 243) hielt es ohne nähere Begründung für denkbar, dass Feststellungen zum Geisteszustand des Testierenden in einem selbstständigen Beweisverfahren getroffen werden können. Nach wohl überwiegender Meinung kann dagegen der gesetzliche bzw. der durch eine frühere Verfügung bedachte Erbe zur Frage der Testierfähigkeit kein selbstständiges Beweisverfahren i. S. von § 485 ZPO einleiten (Hagena, in: MünchKomm, § 2229 Rdnr. 50; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl., 2003, § 2229 Rdnr. 41), weil noch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht. Gleiches gilt für das selbstständige Beweisverfahren analog § 15 FGG (OLG Frankfurt a. M., FamRZ 1997, 1021 - jetzt §§ 30 und 31 FamFG).

III. Exkurs: Erbrechtliche Feststellungsklagen
Feststellungsklagen zur Frage der Testierfähigkeit sind also grundsätzlich unzulässig, weil es an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis fehlt. Nicht konsequent (so Zimmermann, Rdnr. 22) ist deshalb die Entscheidung des BGH (NJW 2004, 1874; dazu Klinger, NJW-Spezial 2004, 62), wonach ein Pflichtteilsberechtigter in aller Regel ein rechtliches Interesse daran habe, noch zu Lebzeiten des Erblassers die Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung feststellen zu lassen.

Der BGH (NJW 1962, 1723) hielt eine Klage des gesetzlichen Erben gegen den testamentarischen Erben eines noch lebenden Erblassers auf Feststellung, dass das Testament unwirksam sei, für unzulässig.

Nach wohl überwiegender Ansicht sind Feststellungsklagen im Hinblick auf nachlassschmälernde Schenkungen des Erblassers i.S. von § 2287 I BGB vor Eintritt des Erbfalls unzulässig (OLG Schleswig, OLG-Report 2003, 89; a. A. OLG Koblenz, MDR 1987, 935).

IV. Fazit
Der anwaltliche Berater wird potenziellen Erben nicht empfehlen können, noch zu Lebzeiten des Erblassers die Frage der Testierfähigkeit durch eine Feststellungsklage oder ein selbstständiges Beweisverfahren klären zu lassen. Es bleibt deshalb nur die Möglichkeit, Beweismittel zu sichern, die nach dem Erbfall im Rahmen des Erbscheinverfahrens oder einer Erbenfeststellungsklage verwendet werden können.

Feststellungen von Notaren stellen dabei nur die Meinung eines Laien dar und haben lediglich den Wert eines Indizes; die Aussage des Notars ist nur eine Zeugenaussage (Zimmermann, Rdnr. 17). Atteste von Hausärzten sind regelmäßig kein geeignetes Beweismittel, da es sich hierbei nicht um Sachverständige handelt (Hagena, in: MünchKomm, § 2229 Rdnr. 60). Vorsorglich sollten schriftliche Zeugenaussagen des sozialen Umfelds und ärztliche Unterlagen gesammelt werden.

Eine gewisse Sicherheit könnte erreicht werden, wenn sich der Erblasser unmittelbar vor der Beurkundung von einem Sachverständigen mit Kenntnissen in Fragen der Testierfähigkeit (in der Regel also einem Neurologen oder Psychiater) untersuchen lässt und dieser darüber ein ausführliches Gutachten erstellt. Geschieht dies heimlich (etwa wenn sich der Sachverständige als solcher nicht zu erkennen gibt), taucht die Problematik der Verwertbarkeit dieses Gutachtens im späteren Erbscheinsverfahren oder Zivilprozess auf (BGH, NJW 2005, 497; Zimmermann, Rdnr. 22).



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