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Das Aufgebot der Nachlassgläubiger - eine unbekannte Haftungsfalle!

(Von Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Villingen-Schwenningen)

Die Geltendmachung der sog. Aufgebotseinrede i.S. des § 2015 BGB verhindert, dass sich einzelne Gläubiger vorab aus dem Nachlass oder dem Eigenvermögen des Erben befriedigen können. Weist der Anwalt auf diese - von der Praxis zumeist ignorierte - Möglichkeit nicht hin, droht eine Regresshaftung.

1. Die Beschränkung der Erbenhaftung
Der Erbe kann seine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass beschränken, in dem er die Nachlassverwaltung (§§ 1975 ff. BGB), das Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 ff. InsO) oder das Aufgebotsverfahren (§ 1970 BGB) einleitet.

Voraussetzung für die Aufgebotseinrede des § 2015 BGB ist, dass der Erbe bei der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichtes (nicht beim Nachlassgericht; Harder, ZEV 2002, 91) ein Aufgebotsverfahren gem. §§ 946 ff. ZPO beantragt hat. Die Nachlassgläubiger werden dann öffentlich aufgefordert, ihre Forderungen binnen einer Frist von höchstens sechs Monaten anzumelden. Ist diese Frist abgelaufen, ergeht ein Ausschlussurteil. 

Denjenigen Nachlassgläubigern gegenüber, die ihre Forderung nicht angemeldet haben, haftet der Erbe nur noch mit dem Nachlassüberschuss, der verbleibt, nachdem Gläubiger von angemeldeten Forderungen befriedigt worden sind (§ 1973 BGB). Nachlassgläubiger, die ihre Forderungen – unabhängig vom Aufgebotsverfahren - erst fünf Jahre nach dem Erbfall geltend machen, werden ebenso behandelt (§ 1974 BGB).

2. Praktische Bedeutung des Aufgebotsverfahrens
Die Beratungspraxis macht vom Aufgebot der Nachlassgläubiger kaum Gebrauch: War nämlich die Überschuldung des Erblassers schon zu dessen Lebzeiten bekannt oder ist sie innerhalb der Sechswochenfrist des § 1944 BGB ersichtlich, wird die Erbschaft ausgeschlagen. Erweist sich die Erbschaft nach der Annahme als überschuldet, wird entweder die Anfechtung der Annahme erklärt (§§ 1954, 119 II BGB) oder Nachlassinsolvenz beantragt. Bei einem nur dürftigen Nachlass wird eine Haftungsbeschränkung durch die Dürftigkeitseinreden erreicht (§§ 1990 – 1992 BGB). 

Das Aufgebotsverfahren erscheint als überflüssiger, vermeidbarer Kostenfaktor. Diese Einschätzung kann - auch bei scheinbar wirtschaftlich geordneten Nachlässen – gerade bei Erbengemeinschaften ein folgenschwerer Irrtum sein. Ist nämlich der Nachlass bereits geteilt und werden danach (zunächst unbekannte) Schulden des Erblassers innerhalb von fünf Jahren seit dem Erbfall geltend gemacht, droht eine Haftung der Erben mit ihrem Eigenvermögen.

3. Die „Haftungsfalle“
Angenommen der Nachlass hat nach Begleichung aller zunächst bekannten Nachlassverbindlichkeiten einen Nettowert von 1 Mio. Euro. Der Nachlass wird unter den beiden Miterben entsprechen den Erbquoten von 1/5 für A und 4/5 für B aufgeteilt. Vier Jahre nach dem Erbfall taucht der unbekannte Nachlassgläubiger G auf und verlangt von den Miterben die Rückzahlung eines dem Erblasser gewährten Darlehens i.H. von 900.000 Euro (§ 2058 BGB). 

Die Miterben kommen nicht in den Genuss einer Haf-tungsbeschränkung gem. § 2060 Nr. 2 BGB, da die dort genannte 5-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen ist. Eine haftungsbeschränkende Nachlassverwaltung ist ausgeschlossen, nachdem der Nachlass schon geteilt ist (§ 2062 BGB). Ein Nachlassinsolvenzverfahren scheidet mangels Überschuldung aus: Dem Nettonachlass von 1 Mio. Euro stehen nur Verbindlichkeiten von 900.000 Euro gegenüber. Zudem geht die h.M. (MüKo/Heldrich, § 2060 Rdnr. 15) davon aus, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren nach Teilung des Nachlasses unzulässig ist.

Jeder Miterbe haftet damit als Gesamtschuldner auch mit seinem Eigenvermögen. Hat Miterbe B seinen Nachlassanteil von 800.000 Euro verbraucht und ist zwischenzeitlich insolvent, haftet A (der nur 200.000 Euro aus dem Nachlass erhalten hat) mit seinem Eigenvermögen i.H. von 900.000 Euro. 

Hier hätte nur das Aufgebotsverfahren eine auf den Wert seines Erbanteils reduzierte Haftung des A herbeiführen können (§ 2060 Nr. 1 BGB). Die Gesamthaftung des A hätte sich bei einem Ausschluss des G im Aufgebotsverfahren in eine Teilhaftung gewandelt, und zwar begrenzt auf den Bruchteil der Schuld, der seinem Erbanteil entspricht (also 1/5 von 900.000 Euro = 180.000 Euro). 

Würde man entgegen der h.M. (Palandt/Edenhofer, § 2060 Rdnr. 2) auch nach Teilung des Nachlasses ein Aufgebotsverfahren zulassen, führt dies nicht zu einem Ausschluss des Gläubigers, da dieser natürlich seine Forderung anmelden würde. Es bleibt also dabei, dass Miterbe A als Gesamtschuldner für 900.000 Euro haftet und damit einen Schaden von 720.000 Euro hat.

4. Fazit
Der Anwalt sollte zur Vermeidung eines solchen Schadens und damit seiner eigenen Haftung – auch bei scheinbar wirtschaftlich geordneten Nachlässen - auf die Möglichkeit des Aufgebotsverfahrens hinweisen und sich schriftlich bestätigen lassen, dass er hierüber eingehend beraten und der Mandant gleichwohl auf die Durchführung (z.B. aus Kostengründen) verzichtet hat.

(Quelle: NJW-Spezial, 2005, Heft 2)



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