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Die Lebensversicherung im Pflichtteilsrecht

Von Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und
Rechtsanwalt Thomas Maulbetsch, Mosbach/Baden

Nicht wenige erbrechtliche Berater empfehlen den Abschluss von Lebensversicherungen als Mittel, Vermögenswerte „am Nachlass vorbei“ übertragen zu können, um so Pflichtteilsansprüche zu reduzieren. Spätestens seit der Entscheidung des BGH vom 23.10.2003 (NJW 2004, 214 ff.) ist dieser Rat nicht mehr haltbar und damit für den Anwalt ein Haftungsrisiko.

I. Lebensversicherung und Pflichtteil
Die Lebensversicherungssumme kann bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2303 BGB) nur berücksichtigt werden, wenn sie Bestandteil des Nachlasses ist. Hat der Erblasser bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages einen Bezugsberechtigten benannt, fällt mit dem Tod des Versicherungsnehmers die zur Auszahlung kommende Versicherungssumme nicht in den Nachlass. Vielmehr erwirbt der bezugsberechtigte Dritte den Auszahlungsanspruch unmittelbar im Wege der Sondernachfolge (vgl. §§ 328, 331 BGB). Dies gilt gem. § 166 II VVG auch dann, wenn als Bezugsberechtigte nur pauschal „die“ oder „meine Erben“ benannt sind (OLG Schleswig, ZEV 1995, 415; unrichtig Staudinger/Olshausen, § 2325 Rn. 38).

Fehlt es dagegen an der (wirksamen) Benennung eines Bezugsberechtigten oder wurde diese vor dem Erbfall widerrufen, fällt die Versicherungssumme in den pflichtteilsrelevanten Nachlass. Im Sonderfall der „kreditsichernden“ Lebensversicherung gehört nach dem BGH (ZEV 1996, 263) trotz Benennung eines Bezugsberechtigten der Anspruch auf die Versicherungssumme in Höhe der gesicherten Schuld zum Nachlass des Versicherungsnehmers und muss wie die gesicherte Schuld bei der Pflichtteilsberechnung gem. § 2311 BGB berücksichtigt werden. Der zur Befriedigung des Gläubigers nicht benötigte Teil der Versicherungsleistung geht (am Nachlass vorbei) auf den Bezugsberechtigten über (J. Mayer, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 8 Rdnr. 30).

II. Lebensversicherung und Pflichtteilsergänzung
Fällt die Versicherungssumme nicht in den Nachlass, kann der Erbe des Versicherungsnehmers zumindest gem. § 2325 BGB zur Pflichtteilsergänzung verpflichtet sein; der Bezugsberechtigte selbst haftet gem. § 2329 BGB nur subsidiär. Diese Normen setzen im Valutaver-hältnis eine Schenkung des Erblassers an den Bezugsberechtigten voraus. Daran kann es fehlen, wenn die Zuwendung der Lebensversicherung eine Ausstattung zugunsten von Abkömmlingen (§ 1624 BGB) oder eine sog. ehebezogene Zuwendung (BGH, NJW 1992, 564) darstellt.

Im Anwendungsbereich des § 2325 BGB ist bei Kapitallebensversicherungen auf den Todesfall lebhaft umstritten, ob als Berechnungsgrundlage für die Pflichtteilsergänzung die ausbezahlte Versicherungssumme oder nur die vom Erblasser entrichteten Prämien anzusetzen sind.

1. Widerrufliches Bezugsrecht
Nach bisher h.M. (Palandt/Heinrichs, 63. Aufl. § 330, Rdnr. 6 m.w.N.) unterliegen bei widerruflicher Bezugsberechtigung nur die vom Erblasser gezahlten Prämien der Pflichtteilsergänzung, da ein Lebensversicherungsvertrag gerade in der Anfangsphase einen sehr hohen Risikoanteil enthält, der nicht durch Vermögensaufwendungen des Versicherungsnehmers gedeckt ist. Ein Vermögensopfer des Erblassers i.S. von § 2325 BGB kann deshalb nur für dessen Prämienaufwand bejaht werden.

Der 9. Senat des BGH entwickelte kürzlich (NJW 2004, 214) zum Thema „Lebensversicherung im Insolvenzfall“ neue – von der h.M. abweichende – Grundsätze. Hat der Schuldner für die von ihm angeschlossene Lebensversicherung einem Dritten ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt, richtet sich der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch nach Eintritt des Versicherungsfalls auf Auszahlung der Versicherungssumme und nicht auf Rückgewähr der geleisteten Prämien. Das gilt auch dann, wenn das Bezugsrecht des Dritten sogleich bei Abschluss des Vertrags begründet worden ist. 

Aus dieser richtungsweisenden Entscheidung folgern erste Literaturstimmen (Palandt/Heinrichs, 64. Aufl., § 330 Rdnr. 6; Elfring, ZEV 2004, 305, 310; Progl, ZErb 2004, 187), dass im Falle eines widerruflichen Bezugsrechts die (komplette) Versicherungssumme, nicht also nur die Prämien der Pflichtteilsergänzung unterliegen.

2. Unwiderrufliches Bezugsrecht
Vereinbart der Erblasser ein unwiderrufliches Bezugsrecht, erwirbt der Begünstigte sofort alle Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag. Damit ist die volle Lebensversicherungssumme ergänzungspflichtig, es sei denn, die Bezugsrechtseinräumung erfolgte außerhalb der Zehnjahresfrist des § 2325 III BGB. Der Pflichtteilsberechtigte fällt dann also aus (Progl, ZErb 2004, 187, 190). Anderslautende Meinungen dürften im Lichte der neuen BGH-Entscheidung abzulehnen sein.

III. Fazit
Die „Jahrhundertentscheidung“ des BGH (so Elfring, NJW 2004, 485) wird vermutlich nicht auf das Insolvenzrecht beschränkt bleiben. Dies kann zu einer höheren Pflichtteilsergänzungshaftung des Erben und – über § 2329 BGB – auch des Bezugsberechtigten führen. Der Berater des Erben sollte bei laufenden Pflichtteilsfällen mit Bezügen zu Lebensversicherungen eine zügige und später nicht mehr angreifbare Abgeltung der gegnerischen Pflichtteilsergänzungsansprüche anstreben.

(Quelle: NJW-Spezial, 2005, Heft 1)



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